Die Positive Psychologie beschäftigt sich in Forschung und Praxis mit den Bedingungen und (Wechsel-) Wirkungen, die eine optimale Entwicklung von Personen, Gruppen und Organisationen ermöglichen. (1)

Sie hat Ihren Ursprung im Jahr 1998, als Seligman und Mihaly Csikszentmihalyi zusammensassen und über die Auswirkungen auf Menschen aus dem zweiten Weltkrieg sprachen. Sie merkten, dass der Fokus der Psychologie in den letzten Jahrzenten mehr auf der Heilung von mentalen Krankheiten lag, als darauf, den «gesunden» Menschen zu einem erfolgreichen und erfüllenden Leben zu verhelfen und ihre grossen Talente und Begabungen zu identifizieren und zu fördern. Diese zwei Ziele stellten sie mit der Positiven Psychologie neu ins Zentrum! (2)

In der Positiven Psychologie gibt es vier Schlüsselressourcen: Hoffnung, Selbstwirksamkeit, Resilienz, Optimismus, welche wissenschaftlich und wirtschaftlich betratet werden.

Hoffnung bezeichnet einen psychologischen Zustand, in dem eine Person entschlossen an der Erreichung ihrer Ziele arbeitet und selbst bei Hindernissen teils kreative Lösungswege findet und nutzt. Positive Emotionen und ein hohes Kontrollerleben sind Begleiterscheinungen der Hoffnung.

Selbstwirksamkeit bezeichnet die individuelle Überzeugung, Herausforderungen gewachsen zu sein und über die dafür erforderlichen Kompetenzen zu verfügen. Menschen mit dieser Überzeugung sind energetischer und ausdauernder bei der Erreichung ihrer Ziele und nehmen neue Herausforderungen ebenfalls früher an als Menschen mit geringer Selbstwirksamkeit.

Resilience beschreibt die Fähigkeit, aus der Not, nach Konflikten, Scheitern oder auch positiven Ereignissen wie Fortschritt und mehr Verantwortung wieder auf die Beine zu kommen.

Optimismus befähigt Menschen dazu, eine positive Erwartungshaltung gegenüber der Zukunft einzunehmen, offen für Veränderungen zu sein, negative Ereignisse external, als temporär und situationsspezifisch zu erklären sowie positive Ereignisse internal, als konstant und für alle Kontexte zutreffend zu erklären. Gegenüber Pessimisten gehen optimistische Menschen konstruktiver mit eigenen und fremden Fehlern um und betrachten sie zudem für die Zukunft als neues Rüstzeug.

Personen mit hohem psychologischem Kapital stecken mehr Aufwand in Aufgaben, die sie zu erledigen haben, sind motivierter und vermögen dies auch zu tun, weil sie positive Resultate erwarten. Sie können eine Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten für Probleme generieren und besser mit eventuell auftretenden Rückschlägen umgehen. (3)

Positive Leadership

Das weiterentwickelte Konzept beschreibt «Positive Leadership» auf der Grundlage der vier oben genannten, fundamentalen Elemente und beschreibt dazu folgende drei Eckpfeiler:

1. Die eigenen und die Talente der Mitarbeiter, deren Kenntnis essentiell für die Entwicklung eines Teams sind.
2. Hohes Engagement im Sinne des Flow-Zustands nach Csikszentmihalyi, das einen Zustand beschreibt, in dem die Herausforderung einer Situation und die Fähigkeiten einer Person bezüglich dieser Herausforderung in einem optimalen Verhältnis zueinanderstehen. Sind Arbeitsaufgaben beispielsweise so gestaltet, dass Mitarbeiter ihre Talente bestmöglich einbringen können, weil sie Herausforderungen mit ihren Fähigkeiten übereinstimmen?
3. Als dritter Pfeiler strebt der Mensch nach Sinn, den er bei der Arbeit optimalerweise in einer dazu passenden Vision findet.

Mitarbeiter nach positiven Fähigkeiten auszuwählen, zu entwickeln und bestmöglich mit ihnen zusammenzuarbeiten, ist einer der Schwerpunkte der Organisationspsychologie.

Positive Organizational Scholarship (POS) ist die Dynamik in Organisationen, die zur Entwicklung menschlicher Stärken führt, Resilienz in Individuen pflegt, Heilung und Restauration möglich macht und aussergewöhnliche, individuelle und organisationale Leistung kultiviert. Dabei wird zudem der spezifische Kontext in Betracht gezogen, in dem positive Phänomene auftauchen. (4)

Dennoch braucht es für ein positiv deviantes Unternehmen eine Zahl von Individuen, die wissen, was sie wollen, welche Werte sie verkörpern möchten und für was sie einstehen. Die richtige Arbeitsumgebung wird solche Menschen anziehen und bereits dadurch in Zeiten des Führungs- und Fachkräftemangels einen Wettbewerbsvorteil darstellen.

Wie lässt sich also eine positive Kultur in Unternehmen schaffen und erhalten, in der das menschliche Potenzial nicht nur entdeckt und zutage gebracht, sondern auch bis zu einem Grad von positiver Devianz gefördert wird.

Dazu gibt es nach Jane Dutton, einer der Gründerinnen des CPOS (Center for Positive Organizations) drei essentielle, sich gegenseitig beeinflussende Mechanismen:
1. Positive Sinnstiftung bei der Arbeit
2. Positive Emotionen and
3. Positive menschliche Beziehungen.

Zu 1. Es macht einen Unterschied, ob Sie Ihren Beruf als Job ansehen, in ihm eine Karrieremöglichkeit erkennen oder gar eine Berufung verspüren. Weiter macht es einen Unterschied, ob ein positiver oder negativer Sinn wahrgenommen wird.

Zu 2. Fredrickson konnte durch ihre Forschung zeigen, dass die Balance zwischen postiven und negativen Emotionen einen signifikanten Einfluss auf das individuelle Wohlbefinden und Verhalten von Menschen hat. Insbesondere weist sie darauf hin, dass Situationen, die positive Emotionen fördern, den Aufmerksamkeitsumfang erhöhen. Sie erlauben es den Personen demnach, sowohl den Wald als auch die Bäume zu sehen. Eine Vorherrschaft negativer Emotionen wiederum führt zu einem engeren Fokus im Denken und negativen Reaktionen auf neue Stimuli.

Zu 3: Unabhängig, ob in Krisenzeiten oder nur als Rat gebundene Instanz während des Arbeitsalltags sind positive Beziehungen zu anderen eine Quelle von Kraft, Inspiration, Vertrauen, Mut und Motivation.

Alle drei Mechanismen sind ein Einstiegstor für eine Aufwärtsspirale, denn sie unterstützen die positiven Effekte der jeweils anderen. (5)

Anwendung in Organisationen

Hier sind kurz einige Beispiele aufgelistet, welche in der Anwendung der «Positiven Psychologie» und «Positive Leadership» zum Tragen kommen.

Positive Kommunikation durch positive Begriffe
Vieles im zwischenmenschlichen Bereich spielt sich non-verbal ab. Unsere Kommunikation ist inkongruent, wenn wir zwar sagen, dass wir motiviert sind, es jedoch in unserer Körpersprache ganz anders abzulesen ist, weil wir mit hängenden Schultern und heruntergezogenen Mundwinkeln dasitzen. Die Führungsperson erklärt mit grossen Worten die neue Ausrichtung und Vision, jedoch ist die Körperspannung total abgeschlafft und wird mit einem leichten Kopfschütteln ergänzt.
Verbale Kommunikationsmittel sind ein ebenso einflussreiches und effektives Werkzeug, um Ziele zu erreichen.
Avey et al. zeigten beispielsweise signifikante Verbesserungen der Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern, nachdem deren Führungskräfte einfache Änderungen bei der Kommunikation von Aufgaben vornahmen und deren gewählten Worte ihre positive Einstellung zu den Fähigkeiten der Mitarbeiter unterstrichen. (6)

Werte
Richard Barrett (2006) beschreibt vier notwendige Elemente, die ein wertgetriebenes Unternehmen durchleben und gleichberechtigt behandeln muss:
1. Persönliche Ausrichtung
2. Strukturelle Ausrichtung
3. Ausrichtung der Werte und
4. Ausrichtung der Mission.
Je grösser der Fit zwischen individuellen Werten und denen des Unternehmens ist, desto stärker identifiziert sich ein Mitarbeiter damit und desto kraftvoller wird sein Engagement für seinen Arbeitgeber sein. Werte entstehen durch gute Personalauswahl, aber – noch wesentlicher – durch ein hierarchieübergreifendes Vorleben der Werte («Walk the Talk»).

Appreciative Inquiry
Sich mit organisatorischen oder persönlichen Werten zu beschäftigen, ist ein respektvoller Weg. Wenn Sie Respekt für die Kraft der Konversation kombinieren mit der Dankbarkeit für die gut funktionierenden Dinge in ihrer Arbeitsumgebung, nutzen Sie «Appreciative Inquiry».
Die «Appreciative Inquiry» (AI) ist ein wertorientierter Ansatz, der in den USA entwickelt und das erste Mal 1987 in einem Artikel veröffentlicht wurde. Sie ist ein Konstrukt, das seine Kernideen mit denen der POS teilt und wurde ursprünglich als Werkzeug für organisationalen Wandel entwickelt.
Ähnlich wie bei der Nutzung bewussterer positiver Sprache verhält es sich mit dieser Grossgruppenmethode: Wir bewegen uns in verschiedenen Systemen (z.B. im Unternehmen, der Familie, der eigenen Person). Dabei reden wird jedoch nicht über die Welt, wie wir sie sehen, sondern wir sehen die Welt so, wie wir darüber sprechen (Lewis et al, 2008). AI konzentriert sich aus diesem Grund auf Stärken, Positives, das Potenzial in Unternehmen.

Hat man gewünschte Richtung, Veränderungsziele und -bedürfnisse, bringt man alle relevanten Menschen zu einem ein- oder mehrtägigen Treffen zusammen, an dem die vier Dimensionen der AI anhand des «4D-Models» exploriert werden.

Discovery: Es werden Informationen über den aktuellen Stand des Unternehmens gesammelt.
Dream: In einer zweiten Runde von 1-zu-1-Interviews sollen die Teilnehmer anhand der Themenfelder über die Möglichkeiten für die Zukunft sprechen.
Design: Es werden Gruppen mit anderen Teilnehmern organisiert, die darüber sprechen, wie die Träume konkret in die Realität umgesetzt werden sollen. Jede Gruppe soll schriftliche Empfehlungsschreiben oder Zukunftsentwürfe formulieren, die gewünschte Ergebnisse beschreiben als wären sie längst Realität.
Destiny: Die Empfehlungsschreiben werden in Aktionsschritte umgesetzt.

Den Effekt der AI können Sie auch schon im Kleinen erfahren, wenn Sie neue Mitarbeiter mit einer positiven Einführung in ihr Unternehmen bestücken. (7)

Kontext im Auge behalten
Ähnlich den auf die Reduktion von Defiziten abzielenden Punkten sind die der «Positiven Psychologie» ebenfalls keine risikofreien. Diese mag ein wohlwollendes Menschenbild zugrunde legen und die Gefahr innehaben, sich ausschliesslich auf das zu konzentrieren, was gut ist. Aus diesem Grund ist die «Positive Psychologie» eine mit sich äusserst kritische Disziplin, die trotz wohlwollender Fundstücke aus Forschung und Verstand keine Allheilmittel verspricht. Sie möchte aufgrund der hohen Komplexität des Menschen immer auch den Kontext im Auge behalten, in dem Veränderung geschieht, weiss andererseits, dass Kontext und Kultur von Organisationen stets auch von einzelnen Menschen geformt werden. (8)

Referenzen:
(1) What (and why) is positive psychology? Review of General Psychology, Gabel, S. L., & Haidt, J., 2005, 9(2), 103-110.
(2) Positive Psychologie in Unternehmen, Tomoff M., 2015, Springer Verlag: 4.
(3) Positive Psychologie in Unternehmen, Tomoff M., 2015, Springer Verlag: 7.
(4) Positive Psychologie in Unternehmen, Tomoff M., 2015, Springer Verlag: 8-9.
(5) Positive Psychologie in Unternehmen, Tomoff M., 2015, Springer Verlag: 10-12.
(6) Positive Psychologie in Unternehmen, Tomoff M., 2015, Springer Verlag: 14-15.
(7) Positive Psychologie in Unternehmen, Tomoff M., 2015, Springer Verlag: 16-18.
(8) Positive Psychologie in Unternehmen, Tomoff M., 2015, Springer Verlag: 4-5.

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