Das Thema „Passivität“ ist weitreichend und gleichsam sehr zentral in der psychosozialen Beratung und insbesondere in der Theorie der Transaktionsanalyse.
Passivität wurde nachweislich von Jacqui Lee Schiff geprägt.
Passiv ist gemäss Definition, wer nicht eigenständig denkt, fühlt und handelt (Symbiose), die Realität nicht sieht, wie sie ist (Realitätsverkennung), wer anstehenden Problemen aus dem Weg geht (Vermeidungsverhalten) und sich keine Ziele setzt.
Aber was genau heisst das für die beraterische Praxis und das eigene Leben?
In der Theorie der Passivität werden interne und externe Prozesse unterschieden. Das ist insofern hilfreich, weil sich Passivität im Denken, Fühlen und Handeln auf ganz unterschiedlichen Ebenen zeigt. Als Beraterin dienen mir meine Hypothesen als Grundlage für die Ersteinschätzung, die es in der Zusammenarbeit mit dem Klienten nach und nach zu verifizieren gilt.
Wir Menschen bilden im Lauf unserer Kindheit ein Bild von uns, von anderen und von der Welt um uns herum. Dieses Bild nennt sich Bezugsrahmen und ist Teil des Skripts, dem unbewussten Lebensplan, welchem wir seit unserer frühen Kindheit folgen. Ziel ist, sich aus dieser unbewussten Haltung zu befreien und schrittweise in die Autonomie zu gelangen.
Autonom nach Eric Berne ist, wer keine symbiotische Haltung einnimmt, wer sich von seinem Skript befreit hat, wer als Erwachsenenperson ungetrübt urteilen, entscheiden und handeln kann, wer über seine Ich-Zustände verfügt und wer die durch die Gesellschaft und Eltern vermittelten Werte nicht einfach übernimmt.
Wie bereits erwähnt lässt sich Passivität im sozialen Kontakt beobachten. Zum einen zeigt sich diese in der Art der Transaktionen, d.h. in der Art der Antworten, die jemand auf Fragen gibt. Sind diese z.B. ausweichend oder blockierend? Dann spricht man von passiven Transaktionen.
Hinzu kommen mögliche passive Verhaltensweisen (Nichtstun, Überanpassung, Agitieren, sich unfähig machen), die es verunmöglichen, dass ein Problem erkannt, bearbeitet und/oder gelöst wird. Ein weiteres Zeichen für Passivität ist die Beziehungsgestaltung, damit ist z.B. das Spielen von psychologischen Spielen gemeint, die unter anderem die sozialen Rollen des Dramadreiecks beinhalten, Retter, Opfer und Verfolger.
Bei den internen Prozessen ist das Erkennen schwieriger. Hier spricht J. Schiff unter anderem vom Redefinieren. Damit meint sie eine Verteidigung des Bezugsrahmens, also einer Taktik, um an festgelegten Meinungen über sich selbst, über andere und die Welt, festhalten zu können. Das Redefinieren ist ein unbewusster, intrapsychischer Vorgang, der skript-verstärkend wirkt. Eine Person, die redefiniert, hat eine verzerrte Realitätswahrnehmung, die zu ihrem Skript passt. Dies wirkt einschränkend bezüglich möglicher Verhaltensalternativen. Beim Redefinieren werden äussere oder innere Gegebenheiten nicht zur Kenntnis genommen (Ausblendung), verzerrt wahrgenommen (Denkstörungen) oder in der Bedeutung falsch eingeschätzt (Grandiosität), weil sie nicht zum Skript und Bezugsrahmen passen.
Beim Discounting kommt es zu einer Verdrängung eines Problems und der Möglichkeit, ein solches zu lösen. Das heisst, die Person steckt in der Passivität fest, in dem sie z.B. die Existenz des Problems, die Bedeutsamkeit, die Lösbarkeit oder die eigenen Fähigkeiten zur Lösung abwertet.
Ein weiterer Mechanismus ist die Grandiosität, bei der es zu einer Überschätzung oder Unterschätzung eines Aspektes kommt, die dazu dient, Probleme nicht sehen oder lösen zu müssen.
Intrapsychisch können solche Mechanismen sich als sogenannte Denkstörungen äussern. Dabei kann es z.B. zu einer Denk-blockade kommen, oder eine Person verliert sich in Details (Überdetaillieren) oder Verallgemeinerungen (Über-generalisieren). Beim Eskalieren (ein Problem wird „gefühlt“ übermächtig) und beim exzessiven Phantasieren (Was könnte alles passieren?!) verliert die Person völlig den Bezug zur Realität, ohne dass ihr das wirklich bewusst wird. Denkstörungen insgesamt verunmöglichen dementsprechend sachliche Überlegungen zur Lösung eines Problems.
Ist Passivität etwas Schlechtes oder gar Krankhaftes?
Nein. Auf keinen Fall! Zusammenfassend kann man sagen: Passivität hält Menschen davon ab, Probleme sachlich anzugehen und zu lösen. Es hindert Menschen, autonom und in ihrer Kraft und Präsenz im Hier und Jetzt zu leben und losgelöst vom Skript zu fühlen, zu denken und zu handeln.
An dieser Stelle möchte ich explizit erwähnen, dass Passivität, so wie sie in der frühen Kindheit skriptgebunden entstanden ist, auf sinnvollen und kindlich logischen Schlussfolgerungen basiert. Nachteilig werden diese, wenn wir uns als erwachsene Person nicht von ihnen lösen können.
Ein erster Schritt in Richtung Loslösung ist die Anerkennung des Problems und die Bewusstwerdung der ablaufenden Mechanismen, ohne sich selbst dafür abzuwerten oder äussere Umstände dafür verantwortlich zu machen.
Der Entwicklungsprozess in Richtung Autonomie soll im Sinne der Ganzheitlichkeit stattfinden und wenn möglich alle Ich-Zustände ansprechen.
Aus meiner Erfahrung kann auch hier die Intuition Berge versetzen und ist ein wichtiger Bestandteil in der Beratung und Selbstreflexion. So wie das Skript in der Kindheit unbewusst entstanden ist, ist auch die Weiterentwicklung im Erwachsenenalter aus meiner Erfahrung ein Prozess mit bewussten und unbewussten Anteilen, welche Wertschätzung und Achtsamkeit verdienen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viele spannende Aha-Erlebnisse und Erkenntnisse, mit denen sie negative Muster, Überzeugungen, Verhaltensweisen und Gewohnheiten durchbrechen können!
Es ist nie zu spät, Schritte in Richtung Autonomie zu wagen!