Diagnose

Die für die Diagnose entscheidenen Kriterien stützen sich auf die letztmals 1994 revidierte DSM-IV-Fassung:

1. Kriterien der Unaufmerksamkeit:
• Konzentrationsschwäche, Vergesslichkeit
• Mühe mit der Daueraufmerksamkeit
• Schwierigkeiten zuzuhören
• Mühe mit Anleitungen und bei alltäglicher Verrichtung
• Organisationsschwierigkeiten
• Mühe, sich länger geistig anzustrengen
• Häufiges Verlieren und Verlegen
• Leichte Ablenkbarkeit durch äussere Reize
• Übermässige Vergesslichkeit im Alltag

2. Kriterien der Hyperaktivität und Impulsivität
• Ständige Unruhe in Händen und Füssen
• Mühe, ruhig sitzen zu bleiben
• „Zappelphilipp“ (innere Unruhe bei Erwachsenen)
• Schwierigkeiten, ruhig zu spielen
• „Innerlich wie von einem Motor angetrieben“
• Übermässiges Reden
• Antworten, bevor Frage vollständig gestellt wurde
• Unmöglichkeit zu warten
• Störendes Verhalten gegenüber anderen

Zur Diagnosenstellung sind der Beginn im frühen Kindesalter, die Persistent der Symptome über mindestens sechs Monate und das Auftreten von relevanten Problemen in unterschiedlichen Lebensbereichen (d.h. in Kindergarten, Schule, Freizeit, zu Hause oder am Arbeitsplatz) vorauszusetzen. Bei Erwachsenen, bei denen nicht mehr alle Symptome vorhanden sind, spricht man zum Teil auch noch vom Redidualtyp.

Paul Wender, einer der führenden Pioniere der ADHS-Forschung, beschreibt für Erwachsene sieben Leitsymptome wie folgt:
1. Aufmerksamkeitsstörung
2. Motorische Hyperaktivität
3. Affektlabilität: charakteristische Stimmungsstörung
4. Desorganisiertes Verhalten
5. Mangelhafte Affektkontrolle
6. Impulsivität
7. Neigung zu emotionalem Überreagieren

Häufig ist die ADHS mit Begleiterkrankungen kombiniert, d.h. die Komorbidität ist hoch. Die Diagnosenstellung wird dadurch in vielen Fällen erschwert. Bei genauer Analyse wird jedoch in der Regel festgestellt, dass sich die Symptome von ADHS und der Begleiterkrankungen differenzieren lassen. Das Zusammentreffen von ADHS mit affektiven Störungen ist bei einem Drittel aller Erwachsenen zu beobachten. Am häufigsten handelt es sich dabei um endogene Depressionen oder länger Dauerende depressive Verstimmungszustände. Weniger häufig findet sich eine bipolare Störung. Angststörungen sind ebenfalls häufig mit ADHS kombiniert. Bei Frauen kann das PMS (prämenstruelles Syndrom) sehr ausgeprägt sein.

Zur Differenzierung dieser Störungen ist die Kenntnis des langwierigen Krankheitsverlaufs der ADHS und der Beginn in der Kindheit entscheiden.

Die Entwicklung einer Suchtproblematik bei ADHS-Betroffenen ist durch die neurobiologischen und genetischen Besonderheiten im Zentralnervensystem zu erklären. ADHS-Betroffene sind gefährdeter als andere Menschen, weil es ihnen in ihrem Leben – bedingt durch ihre häufig nicht zu erklärende Andersartigkeit – wesentlich schwerer fällt, „normal“ zu funktionieren. Wenn zusätzliche Traumen und Stressoren in Form von negativen „life events“ hinzukommen, kann das Abhängigkeitspotential im Sinne eines Kontrollverlustes aktiviert werden. Manchmal werden Alkohol, Nikotin und/oder eigentliche Drogen auch als Selbstmedikation konsumiert. Wiederholt habe ich auch von einer ausgeprägten Spielsucht (Automaten, Kasino, Internet) erfahren.“ (1)

Wie wird die Diagnose gestellt?
Die Anamneseerhebung zur Abklärung einer ADHS sollte nach gewissen Grundregeln verlaufen:
A: Teilstrukturiertes Interview mit gezielten Fragen ermöglichen es, die notwendigen Informationen zu erhalten. Die Diagnose einer ADHS ist eine klinische Diagnose, gestellt wird sie auf Grund:
1. der aktuellen Situation und Beschwerden
2. der Kindheitsentwicklung
3. der schulischen Entwicklung
4. des Jugendalters und der beruflichen Laufbahn
5. der Partnerschaft und Familie
6. der psychiatrischen Anamnese
7. der medizinischen Untersuchung. (2)

Therapie

„Die Therapie der ADHS bei Erwachsenen richtet sich nach dem Leidensdruck des Betroffenen. Häufig bringt schon die Diagnosestellung eine deutliche Erleichterung mit sich. Für viele Betroffene kommt die Erklärung für die erlebte Mühsal – nach jahrelangen inneren und äusseren Kämpfen – einem Aha-Erlebnis gleich.

Nach der Diagnosestellung sollte also immer als erstes dieses Aufklärungsgespräch stattfinden als eine eigentliche «Psychoedukation». Viele Patienten sind verunsichert: «Bin ich verrückt?», «Habe ich überhaupt noch eine Chance?», «Muss ich von jetzt an immer Medikamente einnehmen?», sind nicht selten gestellte Fragen und Befürchtungen.

Krankheitsbild und Behandlungsmöglichkeiten sollten dementsprechend ausführlich besprochen werden. Als Fachpersonal wird man Stellung nehmen zu den Kernsymptomen der ADHS, zu reaktiven Symptomen bzw. Folgezuständen, sowie möglichen Begleiterkrankungen. Auf keinen Fall wird man es unterlassen, die ADHS und die Lebensgeschichte des Betroffenen, inwiefern durch die Krankheit der Lebensplan negativ oder auch positiv beeinflusst wurde, in eine Beziehung zu stellen.
Als nächster Schritt werden die Therapiebedürftigkeit abgeklärt und deren Ziele formuliert.

Worunter leidet der Patient?
1. Extreme Antriebslosigkeit, das «In-Gang-Kommen» ist mit grösster Anstrengung verbunden
2. Ist Stimmungsschwankungen ausgeliefert: «Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt», «Berg- und Talbahn». Kann nicht vorausplanen, kann sich nicht auf sich selbst verlassen
3. Lebt in einem extremen Chaos, kann sich nicht organisieren, lebt mit der ständigen Befürchtung, wichtige Termine zu verpassen (und tut es auch…)
4. Von jeher Probleme mit Konzentration, Ablenkbarkeit (vor allem bei langweiligen Tätigkeiten), Daueraufmerksamkeit, Vergesslichkeit. Lehre, Studium und Arbeit sind deswegen immer wieder gefährdet
5. Musst ständig in Bewegung sein, «Action» ist angesagt, kann nur so einigermassen funktionieren, um so das Gefühl der inneren Unruhe zu kompensieren. Gedanken können nicht «abgestellt» werden
6. Übermässiger Alkohol-, Nikotin- und Cannabiskonsum, ev. auch noch andere Drogen, oder Medikamentenabusus
7. Ist sehr impulsiv; mangelhafte Selbstkontrolle; kann sich nicht beherrschen; Zorn und Wutausbrüche; ständig in Konflikt mit Arbeitskollegen, aber auch innerhalb der Familie; ist ungerecht den Kindern gegenüber und wird anschliessend von Schuldgefühlen geplagt
8. Depressive Grundstimmung und vielerlei körperliche Beschwerden. Bei Frauen ausgeprägtes prämenstruelles Syndrom (PMS)
9. Angstvolle Grundstimmung, macht sich immer Sorgen, kommt nie zur Ruhe, ständig am Kontrollieren, Familienmitglieder fühlen sich so eingeengt
10. Extreme Sensationslust, immer auf der Suche nach dem «Kick», häufig wechselnde Beziehungen (auch wenn in einer Partnerschaft eingebunden)
11. Ungenügende Risikoeinschätzung mit erhöhter Verkehrsunfallrate
12. Stress- und Frustrationsintoleranz
13. Hypersensibilität und Reizoffenheit
14. Mangelhaftes Durchhaltevermögen, ein Gefühl der Überforderung kommt schnell einmal auf
15. Negative Selbsteinschätzung aufgrund der obgenannten Symptome führen zu einem mangelhaften Selbstwertgefühl

Die Mehrzahl der betroffenen Patienten leidet an verschiedenen Symptomen, der Ausprägungsgrad und – wie schon gesagt – der Leidensdruck werden den Ausschlag für den Beginn einer Therapie geben.

Die Therapie der ADHS ist multimedial: Pharmakotherapie, Psychotherapie, Coaching und Aktivierung von Ressourcen sind die Grundpfeiler einer erfolgreichen Behandlung!

Das Ziel der Pharmakotherapie wird sein, die Kernsymptome der ADHS positiv zu beeinflussen, das heisst eine Verbesserung von: Aufmerksamkeitsdefizit, Impulsivität und Hyperaktivität.“ (3)

Referenzen:
(1) Ryffel-Rawak, D. (2007). ADHS bei Erwachsenen – Betroffen berichten aus ihrem Leben. Bern: Hans Huber: 25-29.
(2) Ryffel-Rawak, D. (2007). ADHS bei Erwachsenen – Betroffen berichten aus ihrem Leben. Bern: Hans Huber: 29-30.
(3) Ryffel-Rawak, D. (2007). ADHS bei Erwachsenen – Betroffen berichten aus ihrem Leben. Bern: Hans Huber: 143-145.

Hinweis:
Der folgende Beitrag ist ein Zusammenzug aus dem gleichnamigen Buch (2007) von Doris Ryffel-Rawak. In Teil I finden sich Informationen zu Merkmalen & Ursachen. In Teil II geht es um Diagnose & Therapie. In Teil III folgt eine spannende Ergänzung aus einem Artikel (2014) von Hainer Lachenmeier, welcher sich zu Missverständnissen, Hyperfokussierung & Selbstwert bei Menschen mit ADHS äussert.

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